Der Hass gegen Juden und Jüdinnen ist so alt wie die Religion selbst, er war zu Shakespeares Zeit erschreckende Normalität und ist heute leider immer noch ein gesellschaftliches Problem. Lässt sich dieses Problem auf der Bühne aber gerade mit »Der Kaufmann von Venedig« verhandeln? Regisseur Jasper Brandis sieht darin sogar eine besondere Herausforderung und Möglichkeit zur Verdeutlichung der Wurzeln dieses Übels.
Bassanio ist klamm und somit keine Option für die attraktive Portia aus besten venezianischen Kreisen. Wie gut, dass es Freunde gibt: Antonio will ihn mit einer Finanzspritze unterstützen,damit sein Werben aussichtsreicher wird. Wie dumm, dass der selbst nicht gut bei Kasse ist. Seine internationale Spedition brummt, Kapitalanlagen sind weltweit gestreut, nur die momentane Liquidität ist gleich Null. Wie nützlich, dass professionelle Anbieter wie Shylock aushelfen können. Klar, Schulden und Kredithaie sind ohnehin hassenswert. Wie übel zudem, dass Shylock Jude ist. Doch Antonio bleibt nichts Anderes übrig. Mit heftigen Schmähungen und voller Hochmut lässt er sich für das Darlehen sogar auf einen Schuldschein ein, der Shylock berechtigt, im Falle von Zahlungsschwierigkeiten Antonios »ein Pfund Fleisch nächst dem Herzen« aus dessen Körper zu schneiden. Was soll’s! Bassanio bekommt von Antonio das geliehene Geld und ist nun bei Portia erfolgreich. Und die Schuld bei Shylock ist ja bald beglichen ...Mitnichten! Was undenkbar schien, passiert: Antonio verliert durch Havarien die Erlöse seiner Containerschiffe und Shylock, der stets Gedemütigte, verlangt unerbittlich vor Gericht die Einhaltung des Vertrags. Der Jude als Feindbild: geldgierig, hinterhältig, durchtrieben ... — antisemitische Reflexe waren nicht erst zur Shakespearezeit Normalität. Aber heute? Das Stück stellt die Frage neuerlich dringlich: Ist dieser tief sitzende Hass 80 Jahre nach dem Holocaust in Venedig, London, vor allem aber in Berlin oder Ulm wirklich verschwunden?